Emotionen und Gefühle
Ich sitze da und überlege, wie viele Emotionen und Gefühle ich in diesen Sommerferien erlebt habe. Darunter waren: Vorfreude, Nervösität, Anspannung, Unsicherheit, Neugier, Trotz, Ärger, Heiterkeit, Freude, Hoffnung, Frust, Wut, Überraschung, Begeisterung, Dankbarkeit – und das ist sicher nicht abschliessend.
Viele Ereignisse und Veränderungen in unserem Leben lösen eine emotionale Reaktion aus. Der Zug ist verspätet, die Freundin sagt in letzter Minute ab. Unsere Reaktionen auf solche Situationen nehmen wir oft gar nicht wahr – solange wir uns nicht bewusst damit auseinandersetzen und unsere Gefühlskompetenz üben.
Emotionen vs. Gefühle: warum wir im Fühlen bleiben solltenUnsere Gedanken distanzieren uns oft vom Erleben der Gefühle. Sehr intensive Gefühle wie Panik oder Wut nehmen wir fast alle wahr. Andere Gefühle sind von leichter oder mittlerer Ausprägung. Sobald wir jedoch unsere Gefühle nachdenken, sind wir meist nicht mehr im Fühlen. Der erste Schritt wäre deshalb immer, das Gefühl zu erleben und sich dafür Zeit nehmen, bevor man in die Reflexion einsteigt, z.B. "wo kommt das Gefühl her?" oder "Was hat es mit meiner Lebensgeschichte zu tun?" Tun wir das? Viel zu selten, behaupte ich.
Paul Ekman identifizierte sieben Grundemotionen: Freude, Trauer, Wut, Angst, Ekel, Überraschung und Verachtung. Spätere Forschungen, unter anderem von der Universität Berkeley, deuten darauf hin, dass es deutlich mehr Emotionen geben könnte und definierte 27 verschiedene Emotionen Im Web werden über 90 Gefühle bzw. Emotionsformen gezählt, je nach Unterkategorie.
Emotionen sind intensive Reaktionen auf bestimmte Ereignisse oder Situationen. Sie entstehen oft sofort und können sich körperlich stark bemerkbar machen. Emotionen sind universell und werden von Menschen auf der ganzen Welt ähnlich erlebt.
Gefühle dagegen sind bewusst wahrgenommene Erfahrungen, die aus Emotionen hervorgehen, und zusätzlich von Gedanken, Erinnerungen oder Überzeugungen beeinflusst werden. Gefühle sind subjektiv und unterscheiden sich von Person zu Person.
Denken und Emotionen sind keine getrennte Einheiten. Die Art, wie du denkst, ist die Art, wie du dich fühlst.
Grundemotionen und Gefühle der Menschen
Aus wissenschaftlicher Sicht gehen wir davon aus, dass Grundemotionen evolutionäre Gründe haben. Sie werden alltäglich durch Sinneseindrücke oder innere Bedürfnisse ausgelöst und dann zur Erfüllung eines Zwecks ausgedrückt – etwa Bedürfnisbefriedigung, Kommunikation und Beeinflussung unserer Wahrnehmung, unseres Denkens und Verhaltens. Das umfasst körperliche Empfindungen, soziale Interaktionen und kognitive Prozesse. Wir Menschen sind also alles andere als eintönig.
Wenn wir etwas sehen, hören, schmecken, riechen oder fühlen und im Unterbewusstsein eine Erinnerung aktiviert wird, steuert das oft unsere Grundemotionen und Gefühle.
Körperliche Gefühle:
Gefühle wie Freude, Trauer, Wut oder Angst lassen sich oft schwerer kontrollieren, weil sie starke körperliche und emotionale Reaktionen auslösen. Gefühle sind somit im Körper verankert. Daher führt uns die Wahrnehmung unseres Körpers zu unseren Gefühlen. Freude kann sich durch Leichtigkeit und Zufriedenheit im Körper manifestieren, Traurigkeit dagegen durch ein schweres Herz oder Tränen. Wut kann den Blutdruck erhöhen und die Herzfrequenz steigern, Angst äussert sich oft in Anspannung, Enge oder schnellerem Atem.
Soziale Gefühle:
Wir Menschen sind soziale Wesen und unsere Emotionen werden stark von Interaktionen und Beziehungen geprägt. Zu den sozialen Gefühlen gehören Liebe, Sympathie, Eifersucht und Scham. Liebe wird oft als das stärkste Gefühl beschrieben und kann Verbundenheit zu einer Person, einem Tier oder auch eine Sache hervorrufen. Sympathie führt zu mitfühlendem Verhalten gegenüber dem Leiden anderer. Eifersucht kann Unsicherheit und Vertrauensmangel in einer Beziehung verursachen, während Scham mit Peinlichkeit und einem Verlust des Selbstwertgefühls verbunden ist.
Kognitive Gefühle:
Kognitive Gefühle sind Hoffnung, Überraschung, Neugier und Stolz. Hoffnung kann uns motivieren und optimistisch in die Zukunft blicken lassen, während Überraschung unsere Aufmerksamkeit auf unerwartete Ereignisse lenkt. Neugier steigert unseren Wissensdurst und Lernbereitschaft steigern, und Stolz geht oft mit Zufriedenheit und dem Gefühl des Erreichten in Bezug auf unsere eigenen Leistungen oder die unserer Liebsten einher.
Komplexe Gefühle:
Neben den einfachen Grundemotionen gibt es auch komplexe Emotionen, die aus der Kombination mehrerer Gefühle entstehen. Beispielsweise kann Ekel eine Mischung aus Angst und Abscheu sein, Schuldgefühle eine Kombination aus Traurigkeit und Scham darstellen. Solche komplexen Emotionen lassen sich oft schwer identifizieren und verstehen, weil sie aus unterschiedlichen Quellen stammen und in unterschiedlichen Situationen gleichzeitig auftreten können.
Gefühle regulieren
Gute Emotionsregulation bedeutet, unangenehme Emotionen wahrzunehmen, zu akzeptieren und passend darauf zu reagieren statt sie zu verdrängen oder zu überspielen. Viele Menschen haben in der Kindheit gelernt, unangenehme Gefühle zu ignorieren oder zu unterdrücken, was später unbewusste Verhaltensmuster führe kann.
Aus Angst vor Intensität oder Schmerz werden Emotionen oft verdrängt, statt gespürt zu werden – und das kann im Alltag wiederkehrende Probleme führen. Wenn wir erkennen, dass Emotionen wieder abklingen, holen wir Abstand und bauen eine gesunde Beziehung zu unseren Gefühlen auf.
Die Fähigkeit zur Emotionsregulation ist individuell verschieden: Manche spüren Spannungen leichter und finden schneller passende Strategien, andere benötigen mehr Unterstützung.
Wichtig ist, sich die Zeit zu nehmen, Gefühle zu benennen, zu beobachten und bewusst zu steuern, um Verhaltensweisen wie Essdrang oder Wutausbrüche frühzeitig zu erkennen und zu beeinflussen. Eltern können ihren Kindern dabei durch Vorbild und konkrete Strategien helfen, ähnliche Kompetenzen zu entwickeln.
Mit regelmässigen Übungen zur Emotionsregulation lässt sich die psychische Gesundheit stärken, Beziehungen verbessern und alltägliche Herausforderungen besser bewältigen. Starke Gefühle können überwältigend wirken, doch mit Techniken wie Achtsamkeit, gezielter Atmung, Pausen, Gesprächen oder bei Bedarf professioneller Unterstützung kann man lernen, auch in belastenden Situationen handlungsfähig zu bleiben.
Jede kleine Übung zählt: Tagebuch-Notizen zur Gefühlslage, kurze Atemübungen zwischendurch oder eine bewusste Auszeit, bevor impulsives Verhalten folgt.
Emotionen können uns vor möglichen Gefahren warnen. Sie zeigen uns, was uns wichtig ist. Wer und was uns guttut und wo unsere Grenzen liegen.Und sie können uns helfen, uns selbst zu verstehen. Wenn wir es wollen.
Strategien zur Regulierung von Gefühle und Emotionen
Viele Menschen nutzen bewusst oder unbewusst Strategien, um Gefühle nicht fühlen zu müssen. Beliebte Beispiele sind Ausweichen, Ablenkung, Essen, Arbeiten, Shoppen oder sich stark abzuschotten. Im Folgenden findest du gängige Ansätze, die oft helfen, Gefühle zu regulieren.
- Achtsamkeit: Durch Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder gezielte Atemtechniken lernen wir, Emotionen bewusst wahrzunehmen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Die regelmässige Praxis erhöht die emotionale Selbstwahrnehmung und schafft einen Abstand zu intensiven Gefühlen. In manchen Situationen kann bewusste Mundatmung helfen, Gefühle leichter zuzulassen, da sie tendenziell weniger kontrollierbar ist als Nasenatmung.
- Kognitive Umstrukturierung: Negative oder dysfunktionale Gedanken werden hinterfragt. Indem wir Denkmuster erkennen und gegebenenfalls ändern (reframing), verändert sich oft die Intensität der Gefühle.
- Körperliche Aktivität: Sport und Bewegung helfen, Stress abzubauen und positive Emotionen zu fördern. Bewusste Spaziergänge in der Natur oder regelmässige körperliche Bewegung wie Tanzen, Hüpfen, Joggen tragen dazu bei, das allgemeine Wohlbefinden und die emotionale Regulation zu verbessern.
- Soziale Unterstützung: Das Teilen von Emotionen mit vertrauten Personen und das Erhalten von Unterstützung hilft uns, negative Gefühle zu verarbeiten und zu regulieren. Oft hilft es auszusprechen was gerade ist, auch wenn es anfänglich weh tut.
- Entspannungstechniken: Methoden wie progressive Muskelentspannung, Yoga oder autogenes Training helfen, Spannungen abzubauen und Entspannung zu fördern. Zwischendurch mal die Augen zu schliessen, erleichtert den Zugang zu Gefühlen, da visuelle Reize das Gehirn fordern und die Wahrnehmung von Gefühlen reduzieren können. So stabilisiert sich auch unser Nervensystem.
- Kreative Ausdrucksformen: Durch kreative Aktivitäten wie Malen, Schreiben oder Musik (Tanzen, Singen) können wir Emotionen ausdrücken, Gefühle verarbeiten und unser Gefühlshaushalt gezielt beeinflussen. Manuelle Arbeiten wie Gartenarbeit, Tonarbeiten, Schreinern oder Bügeln wirken meditativ.
Unterschiedliche Techniken ausprobieren hilft, die passende Methode zu finden. Denn nicht jede Methode wirkt bei jeder Person gleich.
Mir persönlich tut es gut, mich mit einer guten Freundin auszutauschen oder zu Hause zu meiner Lieblingsmusik zu tanzen. Auch beim Schwimmen führen die wiederkehrenden Bewegungen zu mehr Ausgeglichenheit.
Ein gesunder Umgang mit Gefühlen
Gefühle sind zum Fühlen da, also merke dir:
- Gefühle kommen und gehen. Sie haben immer eine Botschaft für uns.
- Fühlen hilft uns, das Gefühl zu verarbeiten und aufzulösen.
- Es gibt keine negativen Gefühle (akzeptiere alle Gefühle).
- Emotionen passieren im ganzen Körper. Spüre hin.
- Unterdrückte Gefühle verschwinden nicht.
- Emotionen verursachen keine Schmerzen.
- Widerstand gegen Emotionen führt zu Schmerz.
Ein gesunder Umgang mit Gefühlen ist das grösste Geschenk, das du deinem Kind für sein Leben mitgeben kannst.
Kinder und ihre Gefühlswelt
Die Gefühlswelt bei Kindern ist vielfältig, oft intensiv und sehr direkt sichtbar. Es fasziniert mich, wie Kinder die Welt verstehen und mit Situationen so kreativ umgehen. Das Besondere an der Arbeit mit Kindern ist, dass sie Emotionen unmittelbar zeigen – oft schneller wechselnd als bei Erwachsenen.
Gleichzeitig fällt es vielen Kindern schwer, Gefühle zu benennen. Wir Erwachsenen dürfen ihnen helfen, ihre Gefühle zu verstehen und Strategien zu lernen, wie sie damit umgehen können – denn so fördern wir eine gesunde emotionale Entwicklung.
Im Schulalltag oder im Familienleben können die Reaktionen der Kinder manchmal heftig ausfallen. Dann ist es wichtig, ihnen emotional und körperlich Begleitung zu geben, weil sie aufgrund der noch ausstehenden Gehirnentwicklung oft nicht alleine regulieren können. Ein wütendes Kind ist in Not, egal, was es tut oder ob wir verstehen, warum es tobt. Es darf nicht allein gelassen oder durch Strafe erniedrigt werden.
Durch beständiges Vorleben und konkrete Lernmöglichkeiten lernen Kinder mit der Zeit, ihre Gefühle und Handlungen zu regulieren. Wenn wir Verständnis für ihre Gefühlslage zeigen und dem Kind hilfreiche, beruhigende Aktivitäten anbieten, kann es wieder zur Ruhe finden. Unterdessen entspannen auch wir selbst, weil ruhige, liebevolle Unterstützung Vertrauen schafft und Bindung stärkt.
Herzlichst,
Patrizia
Buch-Empfehlungen:
Falls du ein tieferes Verständnis für dieses faszinierende Thema entwickeln möchtest, gibt es viele Bücher, die sich mit dem Thema Emotionen und Gefühle befassen.
- "EQ Emozionale Intelligenz" von Daniel Goleman: Dieses Buch ist ein Klassiker und bietet eine umfassende Einführung in das Konzept der emotionalen Intelligenz und wie sie unser Leben beeinflusst.
- "The Language of Emotions: What Your Feelings Are Trying to Tell You" von Karla McLaren: Dieses Buch bietet einen einzigartigen Ansatz, um Emotionen zu verstehen und ihre Botschaften zu entschlüsseln. Es hilft dabei, die Vielfalt der Emotionen zu erkennen und ihre positive Kraft zu nutzen.
- "Emotions Revealed: Recognizing Faces and Feelings to Improve Communication and Emotional Life" von Paul Ekman: Der Autor, ein renommierter Psychologe, erforscht die universellen Gesichtsausdrücke von Emotionen und wie sie unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen.
- "The Book of Human Emotions: An Encyclopedia of Feeling from Anger to Wanderlust" von Tiffany Watt Smith: Dieses Buch bietet eine faszinierende und unterhaltsame Reise durch die Vielfalt der menschlichen Emotionen. Es beschreibt verschiedene Gefühle und ihre kulturellen Hintergründe.
- "The Upside of Your Dark Side: Why Being Your Whole Self – Not Just Your "Good" Self – Drives Success and Fulfillment" von Todd Kashdan und Robert Biswas-Diener: Dies Buches erkundet die positiven Aspekte von sogenannten "negativen" Emotionen wie Ärger, Traurigkeit und Angst und wie sie zu persönlichem Wachstum beitragen können.
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